Lieber Bernd, seit eineinhalb Jahren bist Du Mitglied des Deutschen Bundestages. Wie sind Deine Erfahrungen nach dieser Zeit?

Die Themen sind sehr umfangreich. Mir macht die Arbeit großen Spaß und ich habe mich gut eingearbeitet. Ich wurde bereits zum stellv. Sprecher für Wirtschafts- und Energiepolitik gewählt, das ist ein großer Vertrauensbeweis für einen neuen Abgeordneten und macht mich auch stolz. Wir gemeinsam verstehen uns als SPD aber nach wie vor als Motor der Koalition und das soll auch so bleiben.

Daneben gibt es natürlich die politische Bilanz. Wie bewertest Du politisch diese eineinhalb Jahre Große Koalition?

Eine Koalition ist ein enger Schuh und Politik lebt von Kompromissen. Ich finde, wir konnten entscheidende sozialdemokratische Themen umsetzen. 2014 war ein sozialdemokratisches Jahr. Mir war wichtig, dass wir den Mindestlohn, die Rente mit 63, die Mietpreisbremse und das Elterngeld II jetzt im Gesetz haben.
Und wir werden 2017 wieder für eine SPD-geführte Bundesregierung und die Umsetzung weiterer wichtiger Projekte kämpfen.

Was sind die Themen und Projekte der 2. Hälfte der Legislaturperiode?

Dazu gehört sicherlich die Weiterentwicklung der Energiewende. Auch setzen wir in dieser Wahlperiode auf mehr Investitionen. Deutschland braucht dringend Verbesserungen bei Bildung und Forschung, beim Ausbau der Infrastruktur (z. B. Breitband) und bei der Unterstützung strukturschwacher Räume. Außerdem arbeiten wir an Konzepten zur digitalen Zukunft: Arbeit 4.0 oder Industrie 4.0 sind hier die Stichworte. Auch im Bereich Gesundheit wollen wir die Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und Angebote zur Prävention verbessern. Und die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe steht an.
Heiß diskutiert werden auch weiterhin die Themen Fracking, die Verhandlungen um das transatlantische Handelsabkommen TTIP und die Situation der Flüchtlinge an den Außengrenzen Europas.

Die Umfragen zeigen die SPD seit Monaten bei 25 Prozent. Es ist kein Ausbruch aus diesem Turm ersichtlich. Woran liegt es?

Durch gesellschaftliche Entwicklungen schrumpfen politische Milieus und leider auch die Mitgliederbasis. Das sind zunächst einmal schwierigere Bedingungen, um das Interesse an Politik zu wecken. Hinzu kommt, dass unsere gute Politik leider oft nicht gewürdigt wird, obwohl wir in den Länderparlamenten mehrheitlich an den Regierungen beteiligt sind. Sozialdemokratische Projekte, die von den Menschen gutgeheißen werden, werden der SPD oft nicht zugerechnet. Wir müssen weiter solide unsere Themen abarbeiten und offensiv kommunizieren. Mit einem starken überzeugenden Team und Inhalten, die das Land weiterentwickeln, wird die SPD an Überzeugung gewinnen.

Braucht die SPD einen neuen programmatischen Impuls?

Seit über 150 Jahren findet die SPD Antworten auf aktuelle Fragen. Mit der Initiative „Digital Leben“ sind wir thematisch auf der Höhe der Zeit. Das Thema muss aber noch weiter mit Leben gefüllt werden. So lange noch keine gleichwertigen Lebensverhältnisse in Deutschland und keine Teilhabe aller erreicht sind, gibt es noch viel für uns zu tun.

Die niedersächsische SPD hat den Programmprozess „Arbeit. Bildung. Niedersachsen.“ gestartet. Kann – oder sollte - diese Programmdiskussion Vorbild für die Bundes-SPD sein? Auch zur Klärung des zukünftigen Profils?

Themen von den Mitgliedern miterarbeiten zu lassen, ist eine gute Idee. Die Diskussion von Themen jenseits von Parteitagen muss viel stärker in den Fokus gerückt werden. Der Programmprozess aus Niedersachsen ist daher eine gute Initiative, um auch auf höherer Ebene damit weiter zu machen. Ich bin an dem Prozess aktiv beteiligt.

Müsste auch die Partei als Organisation sich weiter verändern und sich auf veränderte gesellschaftliche Arbeits- und Lebensstile einstellen? Und wenn ja, in welcher Weise?

Menschen wollen mitreden und gestalten, haben aber im Spagat zwischen Familie und Beruf nicht mehr genügend Zeit und bisweilen auch Lust, sich in herkömmlicher Weise in Sitzungen von Ortsvereinen kontinuierlich zu beteiligen. Das Internet bietet hier Möglichkeiten, sich unabhängig von örtlicher Präsenz einzubringen. Hier muss man Konzepte erarbeiten, die junge Leute ansprechen und sie in ihrer Lebenswelt abholen. Wir müssen Mehrwerte bieten, die uns von anderen abheben. Wir müssen durch Schaffung unterschiedlicher Dialogformate Plattformen und Anschlussmöglichkeiten für die SPD schaffen.

Zu einem bestimmten Politikfeld, zur Energiepolitik: Wie beurteilst Du den Stand der Energiewende?

Wir haben nach der Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im letzten Jahr nun einen ersten Sachstandsbericht zum Fortschritt der Energiewende erhalten. Und es sieht gut aus. Deutschland hat hier eine Vorreiterrolle, die wir auch aktiv nach außen vermarkten müssen. Die dominierenden Themen der nahen Zukunft sind Strommarktdesign und intelligente Stromnetze. Hier geht es um Einsparpotenziale auch im Privathaushalt.

Dein Wahlkreis ist von der Planung zweier Stromtrassen betroffen, Wahle-Mecklar und SuedLink. Du hast Dich zusammen mit den SPD-Abgeordneten in der Landesgruppe dafür ausgesprochen, dass Erdverkabelung der Regelfall wird. Wie geht es bei den Trassen weiter?

Ich stehe im intensiven Kontakt mit den Bürgerinitiativen und kenne die Stimmungen vor Ort. Ich weiß, dass eine erfolgreiche Energiewende mit den Stromtrassen nur mit der Akzeptanz vor Ort gelingen kann. Daher bin ich für eine deutliche Ausweitung der Kriterien für Erdverkabelung. Ich bin dafür, dass die Erdverkabelung ergebnisoffen und als gleichwertige Alternative zur Freileitung behandelt wird.
Wir arbeiten gerade an einem Gesetz, dass die Kriterien für Erdkabel ausweitet. Hier sind wir in der intensiven Debatte, um mehr Erdkabel zu ermöglichen.
In den Planungen ist Wahle-Mecklar bereits deutlich weiter als der SuedLink. Es sieht gut aus, dass wir in unserem Wahlkreis für die Strecke auch Erdkabelteile bekommen.

Sind denn die Trassen tatsächlich erforderlich? Oder wäre nicht eine stärkere Dezentralisierung der Energieversorgung eine konsequentere Antwort bei der Energiewende?

Bis zum Jahr 2022 sollen alle deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden. Wenn man sich auf einer Karte die Standorte der Kraftwerke anguckt und parallel die Erzeugungsorte von erneuerbaren Energien, dann ergeben sich naturgemäß regionale Unterschiede. Grüner Strom wird im Norden produziert und im Süden gebraucht. Irgendwie muss er transportiert werden.
Im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen zu Netzentwicklungs- und Bedarfsplänen wurden darüber hinaus die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf von SuedLink verbindlich festgestellt. Der Bedarf wird übrigens laufend an den tatsächlichen Gegebenheiten überprüft.

Der Netzausbau ist Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende.

Zu einem anderen Thema, zur Diskussion um die transatlantischen Freihandelsabkommen. Wie beurteilst Du die Debatte in unserer Partei? Und wie geht es weiter?

Es gab viel Kritik am bisherigen Verfahren, das lange Zeit sehr intransparent und für uns alle nicht nachvollziehbar verlaufen ist. Dadurch sind sehr viele Missverständnisse entstand. Deshalb ist ein offener, transparenter Dialog, der sowohl die Risiken aber auch die Chancen, die ein solches Handelsabkommen mit sich bringt, umso wichtiger. Dazu gehören auch Veranstaltungen, wie es die SPD in Holle mit Bernd Lange durchgeführt hat. Nur so können auch die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Die Verhandler der Europäischen Kommission haben keine Freiheit, sich über europäische Standards hinwegzusetzen oder diese zu untergraben. Die SPD-Bundestagsfraktion vertritt übrigens gemeinsam die Auffassung, dass TTIP durch den Bundestag und den Bundesrat ratifiziert werden muss.

Das Gespräch begann mit einer nicht politischen Frage, es endet auch mit einer nicht politischen Frage: Was macht der Abgeordnete Bernd Westphal in seiner wenigen Freizeit?

Er fährt mit seiner Frau mit dem Rad durch den schönen Landkreis Hildesheim –manchmal auch mit dem Motorrad.

Hast Du für die Leserinnen und Leser einen aktuellen Buch- und/oder Musik-Tip?

Mein Büchertipp ist die Autobiografie von Helmut Schmidt „Was ich noch sagen wollte“.