In der Woche vom 24. Juli 2017 wurde der Landkreis Hildesheim von einer Hochwasserkrise in Atem gehalten. Ein Großteil der Kommunen und viele Bürgerinnen und Bürger waren betroffen. Neben den eigenen Feuerwehren mussten 13 externe Wehren zur Unterstützung herangezogen werden.
Mit einer Woche Abstand haben wir Olaf Levonen in seiner Funktion als Landrat des Landkreises Hildesheim um ein Interview hierzu für diese Homepage gebeten. Er stand hierfür dankenswerter Weise zur Verfügung.

Lieber Olaf, wie hast Du die Hochwasserkrise persönlich erlebt und wahrgenommen?

Zunächst habe ich das Ereignis als eine der häufig vorkommenden Ankündigungen von Dauerregen wahrgenommen. Diese Meldung erhalten wir mehrfach im Jahr. Insofern auch erstmal nichts Aufregendes. Insbesondere da die Harzwasserwerke noch vor zwei Wochen berichtet haben, dass die Talsperren alle fast leer waren, bestand auch kein Grund zur Besorgnis, dass diese überlaufen zu drohten. Die Pegel stiegen jedoch schnell weiter.

Ursache war das enorm schnelle Ansteigen der untergeordneten Flüsse und Bäche. Deshalb wurden zunächst der Hochwasserstab des Umweltamtes und anschließend der kleine Krisenstab des Landkreises unverzüglich tätig. Unsere Einsatzbereitschaft stellten wir in der Berufsfeuerwehr Hildesheim her (Stadt und Landkreis betreiben dort die gemeinsame Einsatzleitstelle), wo ohnehin schon alle Lagemeldungen aufliefen und die zentrale Koordinierung vorgenommen wurde. Ich war dann zusammen mit dem Umweltdezernenten Helfried Basse, dem Amtsleiter für Bevölkerungsschutz Torsten Köhler sowie der Kreisfeuerwehr mit Kreisbrandmeister Josef Franke an der Spitze damit die folgenden Tage im Dauereinsatz. Womit wir aber wahrlich nicht die Einzigen waren J.

Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle ausdrücklich bei allen eingesetzten Kräften sowie allen freiwillige Helferinnen und Helfern für ihren Einsatz und ihr Durchhaltevermögen bedanken.

Es wurde kein Katastrophenfall (K-Fall) ausgerufen? Was war der Hintergrund für diese Entscheidung? Und war es im Rückblick die richtige Entscheidung?

Für mich ist die Ausrufung des K-Falles immer die Ultima Ratio.

Entscheidend zur Beurteilung der Lage ist für meinen Stab und mich unter anderem die Frage, ob akut das Leben gefährdet ist, ausreichend Kräfte und Material zur Verfügung gestellt werden können, die Notwendigkeit einer zentralen Befehlsgebung und die Prognose hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Lage (Dauer des Ereignisses, Größe und Betroffenheit des Gebietes).

Unsere Aufgabe bestand insbesondere in der zentralen Unterstützung der Gefahrenabwehrbehörden, an deren Spitze der jeweilige Bürgermeister steht. Von dort liefen die Meldungen der örtlichen Einsatzleitungen an die Leitstelle. Auf Basis dieser Meldungen haben wir unsere Lagebeurteilung regelmäßig dem Einsatzgeschehen angepasst. Als zentrales Unterstützungsinstrument wurde von uns darüber hinaus eine Technische Einsatzleitung eingesetzt.

Mehrfach haben wir soweit möglich die Örtlichkeiten begutachtet und letztlich habe ich mir persönlich sogar ein aktuelles Gesamtbild aus der Luft machen können.

Durch die Hinzuziehung des Regierungsbrandmeisters in die Leitstelle konnte von dort aus die Heranführung der überörtlichen Hilfe schnell beauftragt und umgesetzt werden. Hierdurch konnten die örtlichen Einsatzkräfte spürbar entlastet werden.

Insbesonders die Tatsache, dass der Regen ab Mittwochnachmittag aufhörte und die Pegel ab Donnerstag wieder fielen, hat Schlimmeres verhindert. Hätte sich die Situation zu diesem Zeitpunkt nicht merklich entspannt, wäre evtl. sogar die Hinzuführung anderer Kräfte, bspw. des Militärs, erforderlich geworden. Dieses hätte allerdings die Ausrufung des K - Falles erforderlich gemacht.

Unter dem Strich waren nach unserer Kenntnis zu jeder Zeit ausreichend Einsatzkräfte und genügend Material an den Einsatzschwerpunkten. Das konnten wir nur durch den unkonventionellen Weg der Direktzuführung gewährleisten. Hierfür hatten wir auch Rückenddeckung aus dem Innenministerium. Durch die Ausrufung des K-Falles wären wir nicht schneller oder besser geworden. Ganz im Gegenteil hätte die damit verbundenen Restriktionen zu mehr Bürokratismus und Einbuße an Schnelligkeit mit sich gebracht. Ein K-Fall eignet sich meines Erachtens nicht für solch schnelle Lagen. Das war auch in den Gebieten die den K-Fall festgestellt hatten, wohl die Einsicht. Denn nach wenigen Stunden wurde er dort auch schon wieder beendet.

Mein Kollege Oberbürgermeister Dr. Ingo Meyer ist zur selben Auffassung und Entscheidung auf Anraten seiner Fachleute gekommen (Hinweis: die Stadt Hildesheim ist eigenständige Katastrophenschutzbehörde).

Ich stehe zu dieser Entscheidung und würde im selben Fall wieder so handeln.

Mir ist natürlich bewusst, dass die Situation für die im Einzelnen vom Hochwasser betroffenen Menschen sehr wohl katastrophale Folgen mit sich gebracht hat. Allerdings muss man unterscheiden zwischen dem rechtlichem und dem umgangssprachlichen Begriff Katastrophe. Dies ist natürlich nicht immer einfach – zumal in einer emotional aufgeheizten Situation.

Die Hochwassersituation liegt erst rund eineinhalb Wochen zurück. Die Aufarbeitung hat erst begonnen und wird sicherlich Zeit in Anspruch nehmen Gibt es dennoch bereits erste Schlüsse, Konsequenzen und Forderungen aus der Hochwassersituation?

Für eine Gesamtbilanz ist es noch zu früh. Momentan sind die einzelnen betroffenen Kommunen damit beschäftigt ihre Schäden zu erfassen und zu bewerten. Das wird auch noch ein paar Tage dauern. Aus Einsätzen kann man immer lernen, so auch hier. Nicht alles läuft rund. Das wird jetzt nach und nach aufbereitet. Kritik habe ich jedoch an unserer Öffentlichkeitsarbeit. Hier wird es Änderungen geben.

Eine Forderung, über die auch in den Zeitungen zu lesen war, ist die nach Schaffung eines weiteren Rückhaltebeckens für die Innerste. Benachbarte Kommunen und Kreise haben positiv darauf reagiert. Wie schätzt Du die weitere Meinungsbildung seitens der Landesregierung ein?

Die Idee für ein weiteres Rückhaltebecken ist mir beim Überflug über Salzderhelden gekommen. Das dortige Rückhaltbecken sorgt seit seiner Inbetriebnahme vor vielen Jahren dafür, dass die bis dahin mindestens zweimal im Jahr stark über ihr Ufer tretende Leine, nun mehr gezügelt werden kann. Ein vergleichbares Bauwerk im Laufe der Innerste gibt es noch nicht. Da die Innerste ebenso ein Problemfluss ist, halte ich es zumindest für sinnvoll, zusammen mit den Nachbarkreisen und dem Land hier weitergehende Überlegungen in Richtung Rückhaltbecken anzustellen. Ich vermute leider, dass selbst wenn es zu entsprechenden Planungen kommt, eine Umsetzung noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Doch wie da Sprichwort sagt „wer nicht losgeht, kommt auch nicht an“. Das gilt auch hier. Besonders optimistisch bin ich aber nicht, da zu viele Beteiligte an einem solchen Projekt nicht für eine schnelle Umsetzung garantieren.

Die Landesregierung hat an anderer Stelle schnell reagiert und ein Nothilfepaket geschnürt. Wie beurteilst Du diese Nothilfe? Ausreichend oder nur ein erster Schritt?

Ich finde gut, dass das Land innerhalb weniger Tage ein Sofortpaket auf den Weg gebracht hat. Ausreichend wird ohnehin keine Summe sein, die realistisch ausgegeben werden könnte. 25 Mi. € hört sich viel an. Beim genaueren Hinsehen verpufft die monetäre Wirkung aber sehr schnell. 5 Mio. € für die kommunale Infrastruktur ist in Ordnung, aber die Hilfen, die an die betroffenen Bürgerinnen und Bürger gehen sollen (9 Mio. €) dürfen den stark Betroffenen nicht wirklich helfen. Insbesondere diese Mittel mit der Gießkanne zu verteilen, halte ich für falsch. Das Geld sollte nach meiner Ansicht nicht in gleicher Höhe an alle Geschädigten verteilt werden. Ob übertrieben ausgedrückt die Fußmatte nass geworden ist, sollte nicht gleich gestellt werden mit den Menschen, die ihre Bleibe dauerhaft verloren haben. Ich wünsche mir eine Priorisierung bei der Vergabe.

Ich selbst werde aus dem Kreishaushalt 200.000 € zusätzlich zur Verfügung stellen. Über die einzelnen Maßnahmen wird dann der Kreisausschuss auf Vorschlag der Verwaltung kurzfristig entscheiden.

Darüber hinaus wurde bereits am vergangenen Freitag, also noch während des Einsatzes, die Aktion HAZ hilft von mir zusammen mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung und dem Oberbürgermeister Dr. Ingo Meyer ins Leben gerufen. Bis heute sind bereits knapp 150 Tsd. € eingegangen. Die Verteilung wird Mitte September unter notarieller Aufsicht zweckgerichtet vornehmen. Wer noch Spenden will kann dieses bis zum 31.08.2017 tun. Nachfolgend die Kontonummern:

Kontoinhaber: Landkreis Hildesheim HAZ hilft
IBAN: DE86 2599 1528 0112 2703 00, BIC: GENODEF1SLD (Volksbank Hildesheimer Börde)

Oder

IBAN: DE80 2595 0130 0056 0032 68, BIC: NOLADE21HIK (Sparkasse Hildesheim Peine Goslar)

Verwendungszweck: Ihr Name und Ihre Anschrift

Die Fragen stellte Sven Wieduwilt, stellv. Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hildesheim und der SPD-Kreistagsfraktion.