Die Bewerbung der Stadt Hildesheim um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 – das ist das Ziel der Initiative „Freundeskreis 2025 der Kulturregion Hildesheim“ und des Vereins „Hildesheim blüht auf“. Die Stadt Hildesheim und hier der Rat haben im April 2017 die Entscheidung über eine Bewerbung beschlossen. Hartwig Kemmerer, einer der Mit-Initiatoren, stand für ein Interview hierzu zur Verfügung. Die Fragen stellte Sven Wieduwilt, stellv. Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hildesheim.

Lieber Hartwig, wie entstand die Idee für eine Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt 2025“?

Nach den beiden großen Jubiläumsjahren 2010 (1000 Jahre St. Michael) und 2015 (1200 Jahre Stadt und Bistum Hildesheim) gab es bei einigen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt das Gefühl, dass Hildesheims Kulturakteure erfolgreicher in der Innen- und Aussenwirkung sein könnten, wenn es gelänge, sie stärker zu vernetzen und durch eine bessere Koordination und Kooperation neue Möglichkeiten zu schaffen. Neu an dieser Initiative war ihre Breite, denn neben den Kulturschaffenden selbst, wirken in ihr Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Marketing gemeinsam an der Realisierung einer Bewerbung.

Welche Erwartungen, Ziele und Perspektiven verbindet ihr als Initiatoren und verbindest Du mit dieser Bewerbung?

Wir versprechen uns von einer Bewerbung eine nachhaltige Entwicklung des gemeinsamen Kulturraums Stadt und Landkreis Hildesheim. Dabei gehen wir nicht von dem klassischen Kulturbegriff aus, sondern von dem Ziel, kulturell geprägtes Leben für viele Bürgerinnen und Bürger erfahrbar zu machen. Partizipation und Teilhabe vieler am kulturellen gesellschaftlichen Leben ist unser Ziel. Wir wollen ein kulturell vielfältiges Leben als Grundlegung zur Bewältigung von Zukunftsanforderungen weiterentwickeln, von denen gibt es perspektivisch viele, die auf kommunaler Ebene zu gestalten sein werden.

Die Stadt Hildesheim hat Anfang April die Entscheidung für eine Bewerbung getroffen. Im zuständigen Ausschuss des Kreistages haben wir noch keinen Beschluss getroffen. Nicht aus Ablehnung, sondern weil es um die Frage geht, wie ein eigener und eigenständiger Beitrag des Landkreises aussehen könnte. Warum ist die Unterstützung des Landkreises so wichtig für das Projekt „Kulturhauptstadt 2025“?

Mittlerweile hat der Rat der Stadt Hildesheim einen einstimmigen Beschluss für eine Bewerbung gefasst, vorausgesetzt der Landkreis unterstützt und fördert die Bewerbung. Dies ist der formale Grund für eine Beteiligung des Landeskreises. Die inhaltlichen Gründe überwiegen aber. Das Projekt „Bewerbung Kulturhauptstadt“ bietet meines Erachtens die nicht immer zu habende Möglichkeit, unter einem gemeinsamen Ziel eine erfolgreiche gemeinsame Kulturentwicklung voranzubringen. Da es sich hierbei um einen breit angelegten partizipativen Prozess handeln muss, werden hier auch neue Formen des Zusammenwirkens von Verantwortlichen in der Kommunalpolitik und der Bürgergesellschaft entscheidend für den Erfolg der Bewerbung sein. Dies bietet uns allen hier in der Region auch für bisher ungelöste Fragen aus den bisherigen Denkstrukturen herauszukommen und neue Lösungsansätze zu finden. Eine gemeinsame Perspektive für ihre Zukunft zu entwickeln ist aus meiner Sicht die einzige Chance, für die Stadt und den Landkreis sich in der Bedeutung füreinander zu entdecken, sich wechselseitig zu stärken und als eigenständiger sichtbarer Lebensraum zu entwickeln.

Wie könnte oder sollte ein eigener Beitrag des Landkreises aus Deiner Sicht aussehen? Wo sollte der Landkreis Schwerpunkte setzen?

Der Landkreis sollte nach einer positiven Entscheidung für die Bewerbung gleichberechtigt neben der Stadt in alle Entscheidungsstrukturen eingebunden sein. Dies erscheint mir eine wichtige formale Vorraussetzung für einen erfolgreichen Prozess des Zusammenwachsens. Mir schwebt eine Art „Gegenstromprinzip“ vor, das nach einer ehrlichen Bestandsaufnahme von Vorhandenem und Fehlendem eine gemeinsame Zukunftsmodellierung vornimmt, die die werthaltige Entwicklung in der Region und der Stadt vorantreibt. Aus Konkurrenzen müssen Ergänzungen werden, immer unter der Prämisse, dass nur neues gemeinsames Handeln resourcenschonend qualitativ Neues hervorbringt. Dabei sollte der Landkreis sein Interesse an der Bewerbung deutlich kenntlich machen und besonders auf die Beteiligung der übrigen Kommunen des Landkreises Erwartungen formulieren.

Der Landkreis selbst kann in seiner Verantwortung für große Teile des Schulwesens der kulturellen Bildung einen besonderen (Hildesheim geprägten) Stellenwert geben und damit die Chancen für kulturelle Partizipation erheblich erweitern.

Die Stadt Hildesheim hat die Bewerbung beschlossen, der Landkreis erarbeitet einen eigenen Beitrag hierzu. Welche Rolle spielen die anderen kreisangehörigen Kommunen? Wie könnte deren Engagement und Beitrag aussehen?

Viele kreisangehörige Kommunen haben in den letzten Jahren bemerkenswerte Entwicklungen in ihren kulturellen Profilen genommen, allerdings, so ist meine Vermutung, immer nur mit dem Blick auf die eigene Kommune. Diese hervorragenden Ansätze gilt es für einen neuen gemeinsamen, vernetzten regionalen Blick zu nutzen und weiterzuentwickeln. Wir sollten aus unserer bunten und vielfältigen Kulturlandschaft mit vielen Solisten in unserer aller Interesse ein Orchester sich entwickeln helfen, das heißt Fehlendes zu ergänzen und auf Vieles von Gleichem hinweisen.

In den Kindertagesstätten und Grundschulen in kommunale Verantwortung sollte der Umgang mit der lokalen Kulturlandschaft eine wesentliche Rolle spielen. Kulturelle Bildung als Vorraussetzung fürspäter gelingende Partizipation.

In den Lenkungs- und Entwicklungsstrukturen sollten die Kommunen ähnlich wie die Stadt Hildesheim und der Landkreis gleichberechtigt vertreten sein.

Weimar (1999) oder auch Essen (2010) als zurückliegende „Kulturhauptstädte“ hatten natürlich andere kommunale und regionale Strukturen. Lassen sich trotzdem Erfahrungen aufgreifen und lässt sich hieraus für die Bewerbung lernen?

Ja und Nein. Natürlich haben wir uns angesehen wie die Organisationsstrukturen waren, was für eine erfolgreiche Planung hilfreich sein kann. Entscheidend bleibt aber in Kenntnis dessen, eigene Strukturen zu entwickeln, den „Hildesheimer Weg“ sozusagen, denn die Bedingungen unter denen wir uns bewerben wollen, sind unsere Bedingungen und nicht die von Weimar oder Essen. Übrigens, die Zeiten, in denen man sich wie Weimar mit seinem „kulturellen Mobiliar“ bewerben kann, sind vorbei. Heute geht es um die Beiträge der Kultur zur Bewältigung von Zukunftsanforderungen, dabei kann der kulturelle Bestand helfen, aber eben nur helfen, die neuen Lösungen müssen hier und heute gefunden werden.

Ende 2018 muss das sog. „bid book“, die eigentliche Bewerbung, abgegeben werden. Was ist auf dem Weg dahin zu tun? Wie geht es weiter?

Wir müssen uns langsam sputen. Weitere Zeit im Vorfeld zu verlieren bedeutet weniger Zeit für das eigentliche Bewerbungsverfahren zu haben. Wir müssen zügig arbeitsfähige Strukturen aufbauen und mit der Arbeit beginnen, das heißt konkret unsere Entwicklungsziele zu erarbeiten, diese in die Form der Bewerbungsanforderungen bringen und den Gesamtprozess immer wieder öffentlich kommunizieren und abstimmen. Jeder Tag früher, an dem endlich die konkrete Arbeit beginnen kann, ist hilfreich.

Eine Frage zum Abschluss: Wir sprechen über die Bewerbung für den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“. Der Fokus liegt derzeit auf regionalen Entwicklungen und Perspektiven. Welche Rolle spielt der Europa-Gedanke bei der Hildesheimer Bewerbung um den Titel?

Die Lebensqualität eines Lebens in Europa erfahren die Menschen am deutlichsten in ihrer jeweiligen Region. Deshalb könnte Hildesheim mit einer gelungenen, kulturell hochwertigen und auf Teilhabe angelegten Region ein modellhaft Orientierung ermöglichender Standort werden. Globalisierung und das gemeinsame europäische Haus als Wertegemeinschaft müssen regional erfahrbar sein.

Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass eine Region wie die unsere den europäischen Bürgerinnen und Bürgern Europas mehr sagen und zeigen kann, als die großen (quasi geborenen) Kulturstandorte Europas.

Gelingende Teilhabe könnte eine erfolgreiche Botschaft aus Hildesheim und unserer Region an Europa sein.