Am 22. Mai 2017 hat der SPD-Parteivorstand den Entwurf des Regierungsprogramms für die Bundestagswahl am 24. September 2017 beschlossen. „Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit. Zukunft sichern, Europa stärken“, so der Titel. Bernd Westphal MdB, der bei der Bundestagswahl erneut als Kandidat der SPD im Wahlkreis Hildesheim antritt, stand für ein Interview hierzu zur Verfügung. Die Fragen stellte Sven Wieduwilt, stellv. Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hildesheim.

1) Der Parteivorstand hat den Entwurf des Regierungsprogramms verabschiedet. Entspricht er Deinen Erwartungen?

Ein klares Ja. Der Parteivorstand hat den Entwurf am 22. Mai auf den Weg gebracht. Vorangegangen war ein längerer Arbeits- und Diskussionsprozess im Parteivorstand, natürlich auch unter Einbeziehung der Bundestagsfraktion. Ich hatte daher die Möglichkeit, den Bereich der Wirtschafts- und Energiepolitik bereits frühzeitig mitzugestalten. Aber mein Ja gilt für den kompletten Entwurf. Es war richtig und wichtig, sich für die Erarbeitung Zeit zu nehmen und sich nicht unter Druck setzen zu lassen.

2) Was sind aus Deiner Sicht die zentralen Punkte?

Ich verwende in meinen Reden und in den Gesprächen oftmals den Dreiklang „Soziale Gerechtigkeit, bessere Bildung, gute Arbeit“ und das Regierungsprogramm wird diesem Dreiklang und meinem Anspruch gerecht. Ich will das an zwei Bereichen unterstreichen: der Bildungs- und der Arbeitspolitik. Die Gebührenfreiheit von Bildung hat Martin Schulz richtigerweise auf die politische Agenda gesetzt. Wir wollen die Kitagebühren abschaffen, die Bundesländer bei ihren Initiativen hierzu unterstützen und einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kita- und Grundschulkindern einführen. Wir wollen zusammen mit den Bundesländern den flächendeckenden Ausbau von qualitativ guten Ganztagsangeboten voranbringen. Und wir wollen das Kooperationsverbot im Grundgesetz abschaffen, das dem Bund ein finanzielles Engagement im Bildungsbereich untersagt. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Bildung ist dieses Verbot ein Irrsinn und eine Fehlentscheidung der Föderalismusreform!

Der zweite Themenbereich ist Arbeit. Ich möchte an dieser Stelle nur Stichworte nennen: Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsplätzen, gebührenfreie Ausbildung und das Recht auf Qualifizierung, mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung, eine starke Tarifbindung und mehr Demokratie im Betrieb, das sind die zentralen Punkte in der Arbeitspolitik, für die ich und für die meine Partei bei der Bundestagswahl und darüber hinaus stehen. Außerdem werden wir uns auch weiterhin für ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeitarbeit stark machen.

Ich will noch einen Punkt in diesem Zusammenhang nennen: die Familienarbeitszeit und das Familiengeld bei der Pflege. Ich bin mir sicher, zu einer modernen, sozialen und solidarischen Gesellschaft gehört eine selbstbestimmte Arbeitszeit mit mehr Zeit für Familie. Eigentlich eine alte Forderung von SPD und Gewerkschaften, aber immer noch und immer wieder aktuell.

3) Die Themenbereiche "Steuern" und "Rente" sind bislang ausgeklammert. Konzepte hierzu werden in den kommenden Wochen vorgestellt. Die richtige Entscheidung? Immerhin ist die Steuerpolitik eine wichtige Prämisse für die Gestaltung anderer Politikbereiche.

Es ist richtig, wir reden hier von wichtigen Themenbereichen, in denen wir Antworten geben müssen. Aber der Eindruck, der in der Öffentlichkeit entstanden ist, ist nicht ganz richtig. Der Programmentwurf enthält Aussagen zu beiden Themenbereichen. Gleichzeitig ist es aber auch richtig, dass ein Regierungsprogramm nicht jedes Detail beantworten kann. Wenn es also Überlegungen gibt, hierzu noch detailliertere Konzepte vorzulegen und damit zur Diskussion zu stellen, kann ich das nur begrüßen. Das hat dann auch nichts mit einem Vertagen zu tun, sondern mit dem Anspruch, solide und in den Positionen detailliertere Vorschläge vorzulegen.

4) Gibt es Themenbereiche, in denen Du Dir weitergehende Antworten gewünscht hast?

Eigentlich nicht, 72 Seiten sind für das Regierungsprogramm schon sehr umfangreich. Und die Themenbereiche lassen sich in einem Regierungsprogramm nicht bis in das letzte Detail durchdeklinieren. Wir haben eine klare Vorstellung von Gesellschaft, einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft. Wir wissen, wo wir hin wollen. Aber die Forderungen und Positionen eines Regierungsprogramms sollten immer umsetzbar bleiben und nichts versprechen, bei dem wir wissen, dass wir es nicht halten können.

5) In gut vier Wochen findet der Bundesparteitag statt, der das Wahlprogramm beschließen soll. Rechnest Du noch mit intensiveren Debatten?

Der Entwurf wurde als Leitantrag des Parteivorstandes zum Bundesparteitag am 25. Juni vorgelegt. Über diesen Antrag wird beim Parteitag beraten und beschlossen. Natürlich sind Änderungen möglich, meine Partei ist eine sehr diskussionsfreudige Partei und das Ringen um die beste Antwort steht im Mittelpunkt. Insofern gehe ich von kleineren Debatten aus, auch auf dem Parteitag. Aber ich glaube nicht, dass es noch zu grundsätzlichen über den Antrag kommen wird. Er ist rund, inhaltlich umfangreich und stark und ich sehe kein grundsätzliches Fragezeichen.

6) Zu guter Letzt: Wird es das beste Regierungsprogramm seit Willy Brandt? Oder geht es nicht vielmehr um eine solide und gleichzeitig attraktive Grundlage für eine sozialdemokratische Regierungspolitik in der nächsten Wahlperiode?

(lacht) Es ist Wahlkampf und da muss auch an dieser Stelle eine rhetorische Zuspitzung möglich sein. Auch bei der Bewertung von Wahlprogrammen gilt allerdings Willy Brandt und seine Feststellung, dass jede Zeit ihre Antworten braucht. Die tatsächliche historische Einordnung überlasse ich der Wissenschaft. Aber im Ernst, der Parteivorstand hat ein sehr solides und gleichzeitig ansprechendes Programm vorgelegt. Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit und dieses Programm gibt die richtigen Antworten hierauf.

Den Entwurf des Regierungsprogramms finden Sie hier. (https://www.spd.de/partei/programmdebatte/regierungsprogramm/)