Leonard Kuntscher stellv. Vorsitzender des Juso-Bezirks Hannover und Experte im Projekt ‚Zukunft der Arbeitswelt‘ des Juso-Bundesverbandes

Die Große Koalition plant, den Mindestlohn nicht wie angekündigt allgemeinverbindlich zu machen, sondern Arbeitnehmer/Innen unter 18 Jahren weiterhin für einen Stundenlohn von weniger als 8,50€ arbeiten zu lassen. Das ist falsch, ungerecht und macht politisch wenig Sinn.

Der allgemein verbindliche, flächendeckende Mindestlohn ohne Ausnahmen war eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Forderung der SPD im Bundestagwahlkampf 2013. Nicht ohne Grund hat sie auch diese Forderung im den Koalitionsverhandlungen mit Händen und Füßen verteidigt. Der Widertand gegen den Mindestlohn ist groß. Die Verbände der ArbeitgeberInnen drohen (wie immer) mit einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen und die Union gibt zu Protokoll, dass niedrig qualifizierte Menschen kaum einen Job finden, wenn Sie nicht zu Niedrigstlöhnen arbeiten. Es ist Andrea Nahles schon nicht gering anzurechnen, dass sie (zum größten Teil) konsequent geblieben ist und den Mindestlohn nicht zu einem Werk hat verkommen lassen, dass sprichwörtlich so löchrich ist, wie der bekannte Schweizer Käse.

Umso ärgerlicher ist, es dass die ehemalige Juso-Vorsitzende Andrea Nahles beim Thema Mindestlohn für Minderjährige eingeknickt ist und sich nun teils abstruse Argumente hierfür zu eignen macht. So dürften Jugendliche nicht aufgrund der ‚guten‘ Bezahlung einer normalen Arbeitsstelle von einer (noch) schlechter bezahlten Ausbildungsstelle abgehalten werden. Dieses Argument unterstellt nichts anderes, als das Jugendliche völlig blauäugig und geldfixiert ihre Zukunft planen. Nur 5% der unter 20-Jährigen (!) befinden sich überhaupt in der Erwerbsarbeit. Zudem weiß wirklich jede und jeder Jugendliche mittlerweile aus der Schule, wo immer mehr auf Leistung und Wettbewerb um Ausbildungs-, Studien- oder Arbeitsplatz getrimmt wird, dass man ohne Ausbildung in unserer Gesellschaft mehr als schlechte Chancen auf ein Leben in Wohlstand hat. Das Argument geht also an der Wirklichkeit völlig vorbei. Hier würde ein Blick über den Tellerrand ins europäische Ausland, wo es ja Erfahrungen mit Mindestlöhnen gibt, sehr viel bringen.

Ein weiterer sehr negativer Effekt einer Ausnahme vom Mindestlohn für bestimmte Altersgruppen ist, dass mit dem viel beschworenen Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gebrochen wird. Diese Form der Altersdiskriminierung spielt verschiedene Altersgruppen gegeneinander aus und macht beide zu VerliererInnen. Ein klassisches Beispiel wäre die Beschäftigung im Supermarkt, die ja bei Jugendlichen, die jobben, sehr verbreitet ist. Sie arbeiten dort als Aushilfen an der Kasse oder helfen dabei, die Regale zu befüllen. Man muss kein Genie sein, um vorhersagen zu können, dass in Zukunft diese Arbeiten größtenteils von Jugendlichen unter 18 Jahren durchgeführt werden, da sie für die Unternehmen um einiges billiger sind. Das stellt insofern ein Problem dar, da Jugendliche hier für die gleiche Arbeit zum Teil deutlich schlechter bezahlt werden und zudem ältere ArbeitnehmerInnen verdrängt werden. Vor allem das letzte Problem zeigt, wie unsinnig eine Ausnahme beim Mindestlohn ist. Jugendlich arbeiten naturgemäß in Jobs für ‚Niedrig-Qualifizierte‘.

Durch die niedrigeren Lohnkosten verdrängen die Jungen (unfreiwillig) die Älteren. Gerade die älteren Menschen ohne Schul- oder Berufsabschlüsse gehören ohnehin zu den größten VerliererInnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Fahrt in das absehbare Problem der massiven Altersarmut wird durch die geplanten Regelungen noch beschleunigt. Dies kann und darf nicht der Sinn oder die Folge sozialdemokratischer Politik sein!

Bei alle dem darf man natürlich auch nicht vergessen, dass der Mindestlohn von 8,50€ in der Stunde nur ein symbolischer Wert und bei weitem nicht für ein erfülltes Leben oder eine anständige oder gar angemessene Rente ausreicht.

Der Gesetzentwurf zum Mindestlohn mit der geplanten Ausnahme für Jugendliche U18 ist ein klarer Bruch mit einem allgemein verbindlichen Mindestlohn und der Maxime „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Die SPD und die Ministerin wären gut darin beraten, einen echten Mindestlohn ohne Wenn und Aber durchsetzen.