Vor 75 Jahren, am 16. September 1939, starb Otto Wels, der Vorsitzende der SPD und der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Mit seiner Rede am 23. März 1933 formulierte er für die Sozialdemokratische Partei die Ablehnung des sog. „Ermächtigungsgesetzes“ und setzte damit ein Zeichen für das andere, das bessere Deutschland. „Ein stolzes Stück sozialdemokratischer und deutscher Geschichte.“ – so Franz Müntefering in seinem Beitrag für den Rundbrief 2/2013 des Ortsvereins Grasdorf-Luttrum.

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Ollenhauer. Wels. Stampfer. Crummenerl. Grzesinski. 1933 "© AdSD in der Friedrich-Ebert-Stiftung"

Otto Wels wurde am 15. September 1873 in Berlin geboren. Von 1879 bis 1891 besucht er die Volksschule und macht eine Lehre als Tapezierer in Berlin. 1891 wird Otto Wels Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Im Jahr 1907 übernimmt er die Aufgabe des Bezirkssekretärs der SPD für die Provinz Brandenburg. Mit der Reichstagswahl 1912 zieht er erstmals in den Reichstag ein, dem er auch von 1920 bis 1933 wieder angehören wird. Bereits 1913 wird Otto Wels auf Vorschlag von August Bebel in den Parteivorstand der SPD gewählt und übernimmt den Vorsitz der Pressekommission des "Vorwärts". 1918, nach Ende des Ersten Weltkrieges, wird Otto Wels Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats und am Tag darauf Stadtkommandant von Berlin. 1919/20 ist er Mitglied der Nationalversammlung. Auf dem Parteitag in Weimar 1919 wird Otto Wels gemeinsam mit Hermann Müller zum Parteivorsitzenden der SPD gewählt. 1924 engagiert er sich beim Aufbau des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zum Schutz der Republik und 1932 beim Aufbau der Eisernen Front zum Schutz gegen die Nationalsozialisten. Am 23. März 1933 begründet Wels für die SPD-Reichstagsfraktion die Ablehnung des nationalsozialistischen „Ermächtigungsgesetzes“, mit dem die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt wurde. Mit dieser Rede gegen das sog. „Ermächtigungsgesetz“ der Nationalsozialisten am 23. März 1933 ist Otto Wels in die Geschichte eingegangen.

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Verbot des Vorwärts "© AdSD in der Friedrich-Ebert-Stiftung"

Sigmar Gabriel würdigt in der aktuellen Ausgabe 9/2014 der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“ die Person Otto Wels. „Der letzte Verfassungspatriot der Weimarer Republik“, so der Titel der Würdigung. „In einem Augenblick, indem die deutsche Demokratie, die SPD und Otto Wels selbst ihre bitterste politische Niederlage erlitten, errang der SPD-Vorsitzende einen moralischen Sieg, auf den die Sozialdemokratie noch heute mit größtem Stolz blickt. Otto Wels wurde zum Stellvertreter des demokratischen Deutschlands, der als Verfassungspatriot der Weimarer Republik der Gewaltherrschaft die Stirn bot“, so Sigmar Gabriel in dem genannten Beitrag.

Mit dem sog. „Ermächtigungsgesetz“ wurde die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt. Aber bereits seit der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler Ende Januar 1933 setzte der braune Terror ein. Zeitungen – z.B. der Vorwärts - wurden verboten, politische Gegner bedroht, misshandelt und ermordet. Der Reichstag wurde aufgelöst, Neuwahlen wurden für den 5. März 1933 angesetzt. Durch die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat", die von den nationalsozialistischen und konservativen Machthabern nach dem Reichstagsbrand Ende Februar erlassen wurde, erfolgte bereits eine Einschränkung zahlreicher Verfassungsrechte. Hierzu gehörten die Freiheit der Person, freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Die Wahl des Reichstages am 5. März 1933 verhinderte die absolute Mehrheit für die NSDAP, die SPD konnte ihre Mandate verteidigen. Am 23. März erfolgte die Beratung und Abstimmung über das von der Regierung vorgelegte "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", das sog. "Ermächtigungsgesetz". Ziel dieses Gesetzes war die Möglichkeit, Gesetze verabschieden zu können, die der Verfassung widersprachen. Die Weimarer Verfassung wurde ausgehebelt.

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Reichtagswahl 1932 "© AdSD in der Friedrich-Ebert-Stiftung"

An der Sitzung des Reichstages am 23. März 1933 nahmen 94 von 120 Abgeordneten der SPD teil. Andere waren verhaftet, lagen misshandelt im Krankenhaus oder befanden sich bereits auf dem Weg in das Exil. Die für die Sozialdemokraten bedrohliche Situation und Atmosphäre wurde oft dargestellt. SS- und SA-Männer hatten die Krolloper, den Tagungsort des Reichstages nach dem Reichstagsbrand, umstellt, das gleiche galt für die Sitzplätze der sozialdemokratischen Abgeordneten. Hinter dem Rednerpult hing die Hakenkreuzfahne.

Friedrich Stampfer, damals Mitglied des Reichstages, Mitglied des SPD-Parteivorstandes und dann auch Mitglied des Exil-Parteivorstandes beschrieb die Situation zu Beginn der Reichstagssitzung in seiner Autobiographie folgendermaßen: „Aus dem halbverbrannten Reichstagsgebäude waren wir durch ein Spalier brüllender, drohender Braunhemden über den weiten Platz zur Krolloper geschritten. Viele von uns waren schon verhaftet. Sollmann lag halbtotgeschlagen im Krankenhaus. Von den rechtmäßig gewählten kommunistischen Abgeordneten war nicht ein einziger zugelassen, meines Wissens hat auch kein einziger den lebensgefährlichen Versuch unternommen, seinen Eintritt zu erzwingen. Im Saale sahen wir uns alsbald von bewaffneten SS-Männern umstellt. Ob und wie wir aus dieser Halle herauskommen würden, wußten wir nicht. Diese ganze groß aufgezogene, hochdramatische Veranstaltung war ein einziger ungeheuerlichen Verfassungsbruch. Aber kein Reichspräsident, kein Reichsminister, kein bürgerlicher Abgeordneter wagte ein Wort des Protestes“ (Stampfer, Friedrich, Erfahrungen und Erkenntnisse, Köln 1957, S. 267/268).

„Die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden war die letzte freie, offene, demokratisch engagierte Rede, die für 12 Jahre in Deutschland gehalten werden durfte“, unterstrich der frühere Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck in seiner Würdigung zum 75. Jahrestag der Rede und betonte: „Otto Wels Rede ist die mutigste, die je in einem deutschen Parlament gehalten worden ist. Er wusste, dass seine Worte für ihn Lebensgefahr bedeuteten.“

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Vorstand "© AdSD in der Friedrich-Ebert-Stiftung"

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ – so einer der zentralen Sätze aus der Rede von Otto Wels. Und sie endete mit einem Bekenntnis zu den Werten der Sozialdemokratie: „Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. (...) Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen. Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung.“

Wenige Wochen später wurde die SPD verboten. Otto Wels musste Deutschland verlassen, er ging erst in das Saarland, dann nach Prag und schließlich nach Paris. Er bildete mit anderen Genossinnen und Genossen den Exil-Parteivorstand der SPD. Er starb am 16. September 1939 in Paris.

„Otto Wels erlebte die Rückkehr der Demokratie nach Deutschland nicht mehr. Er starb am 16. September 1939 im Pariser Exil, zwei Wochen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. An seinem Mut, seiner Unbestechlichkeit und seinem unbedingten Vertrauen in die Werte der sozialen Demokratie richteten sich die demokratischen Kräfte in Deutschland während und nach der Nazi-Diktatur auf. Sein Beispielwurde für viele zum Grund, in die SPD und damit für die Demokratie einzutreten. Er wird immer Maßstab und Vorbild sein.“ – so Sigmar Gabriel in der bereits genannten Würdigung in der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“.